Der Rhein
Wie der facettenreiche Fluss die Region prägt
In Hunderten Liedern wird er besungen, für viele Menschen, die in den Städten an seinem Ufer wohnen, ist er selbstverständlich: der Rhein.
Doch der Strom hat viel zu bieten. Für einige gleichen seine Tiefen einer Schatzkiste, andere erforschen seine Bewohner und wieder andere nutzen seine Wellen sportlich - immer auf der Suche nach dem Besonderen.
Diese fünf Episoden der Serie „Rhein-Schau“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bieten einen Einblick in einen vielfältigen Fluss.
Der Schatzsucher
Geologe Sven von Loga sucht am Rheinufer nach verborgenen Schätzen
Schimmernde Achate, Rauchquarze, funkelnde Bergkristalle, versteinertes Holz: Am Rheinufer liegen allerlei Schätze herum. Für den ungeübten Laien sind sie unsichtbar. Der Geologe Sven von Loga erkennt sie sofort – oder zumindest beim zweiten Hinschauen. Zuhause in Sülz sammelt er seine Schätze. Die zweistöckige Wohnung gleicht einem Gesteins-Museum.
Besonders häufig geht er in Langel auf die Suche. Königswinter, Bonn, Düsseldorf, Leverkusen - auch dort ist er das ganze Jahr über unterwegs. Doch hier, wo sich der Langeler Auwald am Ufer entlangstreckt, sei es am schönsten. Und außerdem seien hier die Strände „ganz besonders groß”. Ein wichtiges Kriterium für den Sammler. Denn: Um die Mitbringsel seiner langen Reise, die sogenannten Rheingerölle, abzulagern, braucht der Fluss Platz. Und je mehr er davon zur Verfügung hat, desto „größer ist die Chance, dass ich etwas Besonderes finde”, sagt von Loga.
Es kommt auf die inneren Werte an
Mit geübtem Blick sucht er dann das Ufer ab, hebt Gesteine auf, die sich für den Laien nicht von denen unterscheiden, die den Strand links und rechts davon bedecken. Um das Innere der Steine betrachten zu können, hat er stets seinen Geologen-Hammer dabei. Denn so ähnlich viele Gerölle von außen auch wirken, so unterschiedlich kann sich ihr Inneres präsentieren. Oder wie Sven von Loga es ausdrückt: „Die Schönheit des Schatzes entdecke ich zu Hause an der Flex.” Doch legen die - oft erst geschliffenen - Bruchstellen nicht nur die “geologische Schönheit” der Gesteine frei. Auch helfen sie dabei ein ganz anderes Rätsel zu lösen: nämlich das ihrer Herkunft.
Von weit her kommen die Steine
Mosel, Nahe, Neckar, Sieg, Lahn, Nette, Brohlbach und Main: Nahezu 200.000 Quadratkilometer umfasst das Einzugsgebiet des Rheins und das seiner Nebenflüsse. Als Gesteinslieferanten bestimmen sie, was der Rhein noch heute an seinen Ufern ablagert.
Vielfältige Schätze am Rhein
So finden sich hier neben Quarzsandsteinen auch Granite aus dem Schwarzwald und Basalte aus dem Siebengebirge. Dazu kommen Lydite aus dem Frankenwald, die der Main mit sich führt, Bims, den die Nette aus der Laacher-See-Region mitbringt, oder seltene Achate aus dem Saar-Nahe-Gebiet. Mit Hilfe einer speziellen Wanne gewinnt er ab und zu sogar kleine Goldflitter aus dem Rhein.
Und manchmal liegt auch ein ungewöhnliches Sammlerstück in dem Geröll – ein Mammutzahn. „In der letzten Eiszeit, die vor 12 000 Jahren so langsam endete, liefen die hier noch überall herum”.
So suchen Laien Schätze am Rhein
Nicht nur ausgebildete Geologen können am Rheinufer funkelnde Achate oder sogar einen Pferdezahn finden. Was Laien am besten auf Schatzsuche mitnehmen und wie man die Gesteine verarbeiten kann, erklärt Sven von Loga im Video:
Der Rheinforscher
Wollhandkrabben und Höckerflohkrebsen auf der Spur
Wollte man Kölns schönsten Arbeitsplatz küren, wäre die Wirkungsstätte von Georg Becker mit Sicherheit unter den Anwärtern: Frachtschiffe ziehen gemächlich an den Fenstern des Bootshauses im Kölner Süden vorbei. Das Blau der Wellen schimmert im Sonnenlicht und der Blick gleitet über den Fluss bis hin zum Dom. Für Georg Becker gibt es keinen besseren Ort, um den Rhein und alles, was in ihm lebt, zu erforschen.
Becker ist Limnologe, Spezialist für Fließgewässer. Seit zehn Jahren arbeitet er auf der Ökologischen Rheinstation, einer Außenstelle der Universität Köln. Becker ist in Mülheim in einem Haus direkt am Rhein geboren. Der Fluss fasziniert den 62-Jährigen, seit er denken kann. “Die Bedingungen hier sind europaweit wirklich einzigartig”, sagt Becker und meint damit vor allem die beiden Fließwasserlabore an Bord der Rheinstation.
Von Schiffen eingeschleppt
Dank der Fließwasserlabore lassen sich die Tiere nun ganz bequem und lebensnah erforschen und Veränderungen im Ökosystem Rhein zeitnah erkennen. Becker hat den Filter aus dem Pumpkasten gezogen, durch den das angesaugte Wasser in das Labor geleitet wird. Mit der Kuppe seines Zeigefingers sucht er nach Lebewesen, die sich in dem feinmaschigen Netz verfangen haben. Der Große Höckerflohkrebs etwa: “Das ist ein Killer”, sagt Becker, “und einer der erfolgreichsten Invasoren, die wir im Rhein haben.”
Seinen räuberischen Charakter sieht man dem wenige Millimeter großen Etwas, das sich auf Beckers Fingerkuppe windet, nicht an: Mit Schiffen aus dem Gebiet des Schwarzen Meeres eingeschleppt, hat der Winzling mittlerweile eine Reihe auch einheimischer Arten verdrängt.
Georg Becker und seine Kollegen betreiben Grundlagenforschung. Welche Arten leben im Rhein und wie sind ihre Beziehungen untereinander? Wer frisst wen? Wer setzt sich im Konkurrenzkampf um Nahrung durch? Und warum fühlen sich viele Neozoen, wie die aus anderen Teilen der Erde eingewanderten Tiere heißen, im Rhein so wohl?
“Zum Beispiel die Körbchenmuschel”, sagt Georg Becker und zeigt auf ein Becken im hinteren Teil des Labors. Die aus Asien stammende Art, die erst seit Mitte der 1980er Jahre im Rhein zu finden, ist inzwischen die im Fluss am weitesten verbreitete Muschel überhaupt.
Der größte wirbellose Bewohner des Stroms
Oder die Chinesische Wollhandkrabbe, die als Larve im Ballastwasser von Schiffen zu uns kam. Sie ist heutzutage der größte wirbellose Bewohner des Stroms. Auf der Rheinstation lebt sie im Bauch des Bootshauses.
Becker steuert die Wasserbecken zwischen den Booten des Uni-Rudervereins an und fischt eines der mehr als handtellergroßen Exemplare aus dem Wasser. Vorsichtig, denn die Scheren sind so scharf, dass sie auch harte Muschelschalen aufknacken können.
Für die Wissenschaftler ist der Zuwanderer aus dem Fernen Osten ein Phänomen: Nicht nur, weil er sich nur im Salzwasser vermehren kann, für die Fortpflanzung also die lange Reise ins Meer antreten muss. Die Wollhandkrabbe galt zudem lange Zeit als überwiegender Pflanzenfresser. Doch größere Algen gibt es im Rhein wegen der starken Strömung nicht. Trotzdem gedeihen die Tiere hier bestens.
Becker erklärt, was die Wollhandkrabbe ausmacht (Dafür einfach auf das "Play"-Zeichen klicken)
Vom Pflanzen- zum Fleischfresser
Mit ihren Experimenten wiesen die Forscher nach, dass sich die im Rhein lebenden Tiere zu reinen Fleischfressern entwickelt haben. Nach dem Schlüpfen wandern die Tiere den Fluss aufwärts, bis zu drei Kilometer pro Tag gegen die reißende Strömung, manche bis nach Basel. Erst zur Fortpflanzung hüpfen die Tiere den Rhein wieder abwärts und legen dabei bis zu 25 Kilometer am Tag zurück.
Im Rhein ist die Globalisierung also schon lange Realität: 95 Prozent der Makrofauna, also Tiere im Größenbereich zwischen zwei und 20 Millimeter, sind mittlerweile Neozoen, mitgebracht von Schiffen oder über Kanäle wie den Main-Donau-Kanal eingewandert, nur noch fünf Prozent einheimische Tiere. Um 1900 gab es am Niederrhein an die hundert heimische Insektenarten. Doch in den 1960er Jahren war die Zahl aufgrund der katastrophalen Verschmutzung des Flusses auf nur noch fünf Arten geschrumpft. Heute ist die Vielfalt wieder ähnlich hoch wie damals, aber es handelt sich um andere Arten. Nur ein kleiner Teil der ursprünglichen Bewohner siedelte sich erneut an.
Die Rückkehr von Ephoron virgo
Besonders spektakulär war die Rückkehr der Eintagsfliege Ephoron virgo. 50 Jahre lang war sie verschwunden, dann tauchte sie wieder auf - in solchen Massen, dass sie für Aufsehen sorgte. In dichten Schwärmen flogen die großen weißen Insekten Anfang der 90er Jahre an warmen Augustabenden, von Lampen angelockt, über die Rheinbrücken bis in die Altstadt.
“Wie im Schneegestöber kämpften sich die Menschen durch die Straßen. Hinter den Schwärmen erschienen die Domtürme wie im dichtesten Nebel”, schrieb der “Kölner Stadt-Anzeiger” damals. Stellenweise mussten Brücken gesperrt werden, weil die Insekten die Sicht behinderten oder eine rutschige Schicht auf dem Asphalt bildeten. Mittlerweile ist auch dies längst Geschichte. Der massenhafte Einfall der Ephoron virgo erwies sich als kurzzeitiges Phänomen. “Fließgewässer sind immer im Wandel”, beschreibt Georg Becker die Faszination, die der Rhein noch immer auf ihn ausübt. “Tierarten tauchen auf, breiten sich aus und verschwinden wieder. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.” Langweilig wird es nie.
Wo der Drache den Rhein bewacht
Esel, Drachen und ein atemberaubender Ausblick: Königswinter hat viel zu bieten, trotzdem kämpft die Stadt um Touristen
„Mama, wo ist denn hier der Drache?“ Wer mit Kindern zum Drachenfels kommt, der wird diese Frage oft hören. Nun, die ersten Drachen sind in einem Schaufenster zu sehen. Auf chinesischen Lampen. In eines der ehemaligen langgestreckten Tanzlokale, in denen sich in den 50er und 60er Jahren die fein gemachten Schiffsausflügler aus Köln amüsierten, ist vor einigen Jahren eine chinesische Familie eingezogen und verkauft Tee und Lampenfüße. Nicht eben das, was man in einem Rheinort erwartet.
Verbarrikadierte Fenster am Café Europa
So wie hier unten in Königswinter einiges merkwürdig erscheint. An der Straße hinauf zum Drachenfels reiht sich ein Leerstand an den anderen.
Das Problem: Wie alle Rhein-Örtchen hatte Königswinter in der 80er Jahren einen großen Einbruch bei den Besucherzahlen. Das Ausflugsziel kam aus der Mode. „Trips nach Mallorca und in die Türkei waren auf einmal billig zu haben – und natürlich viel exotischer“, sagt Anja Geider, die als städtische Sanierungsbeauftragte seit Jahren daran arbeitet, die Altstadt aus ihrem Drachenschlaf zu erwecken.
Die Tanzlokale schlossen. „Viele Geschäftsleute machten zwar weiter, weil sie noch so eben über die Runden kamen. Aber es wurde nichts mehr investiert und es gab häufig keinen Nachfolger“, sagt Geider. Oder der Denkmalschutz macht Probleme. Wie beim Café Europa, das vor einigen Jahren ein Bonner Geschäftsmann erworben hat. Weil es Streit um die Auflagen gab, steht der Umbau still.
Nur langsam Hoffnung für den Tourismus
Es ist eine zähe Angelegenheit. Die Altstadt ist seit 2004 Sanierungsgebiet, mit öffentlichen Geldern wurde das Entrée vom Rhein bis zum Rathaus neu gestaltet: Hausbesitzer konnten Geld für die Fassaden-Restaurierung beantragen.
Langsam gibt es einige Hoffnungspunkte – eine neue Eisdiele und bald ein schönes neues Caféhaus. Und in die kleinen Gassen, die zum Rhein führen, ziehen immer mehr junge Familien ein – Berufspendler nach Bonn.Demnächst steht noch eine Operation am offenen Herzen an. Auf der Drachenfelsstraße gehen alle fünf Minuten die Schranken herunter und ein Zug donnert vor der Nase der Touristen durch den Ort. Hier wird in den nächsten Jahren eine Unterführung gebaut, um dann einen möglichst barrierefreien Zugang zu der vor einigen Jahren neu eröffneten Talstation der Drachenfelsbahn zu schaffen. Bergauf hat sich mit viel Landesgeld bereits einiges getan.
Auf dem Eselrücken zum steinernen Drachen
Das traditionelle Eselreiten gibt es aber noch – zehn Tiere trotten den steilen Pfad hinauf, aufsteigen dürfen nur noch Kinder.
Die Wege sind neu gepflastert. Vorbei geht es an der idyllisch gelegenen Ruine des Burghofs. Stolze 27 Jahre lang stand das Ausflugslokal leer. Vor wenigen Wochen kaufte der Bonner Unternehmer Marc Asbeck (Bruder des „Solarworld“-Gründers Frank Asbeck) das Gebäude vom Vorbesitzer Dieter Streve-Mülhens junior (Erbe von 4711). Er will das Haus vollständig wieder herrichten.
Angela Anderson und ihr Mann sind vor drei Jahren in ein Häuschen am Eselsweg gezogen. Vor dem ehemaligen Lokal verkaufen sie selbst gemachte Kräutermischungen und Dekoartikel. Das Geschäft läuft.
Ein Stück weiter an der Nibelungenhalle ducken sich die Besucher wie eh und je durch den Betontunnel – angelegt 1933 zu Richard Wagners 50. Geburtstag –, um zu dem 13 Meter langen Steindrachen zu gelangen. Der größte Drache auf dem Fels! Unverändert liegt er da.
Elegant, aber unauffällig
Oben ist der Modernisierungsgipfel erreicht: Mit Geld aus dem Förderprogramm „Regionale 2010“ wurde die Drachenburg aus dem 19. Jahrhundert renoviert und das Ausflugsplateau neu gestaltet. Das Beton-Restaurant aus den 80ern (Stil: Brutalismus) wich einem eleganten Glaskubus. „Das ist auch modern, aber es fällt nicht so auf“, meint eine Besucherin.
Die Bemühungen fruchten: Die Besucherzahl am Drachenfels steigt wieder. Der Kult hat die Zeit überdauert. Am Ausflugslokal wartet dann auch jener Drache, den die Kinder am meisten lieben: eine Marionette hinter Glas, die schnarcht und bei Einwurf von einem Euro die Drachensage erzählt.
Spätestens dann steht für Kinder fest: Es gibt Drachen. Nicht nur auf chinesischen Lampen.
Rheinromantik am Drachenfels
Die Burgruine aus dem 12. Jahrhundert und die exponierte Lage machten den Drachenfels zum Sujet der Rheinromantik. 1816 schrieb der Brite Lord Byron sein berühmtes Gedicht über den Ort. Einen großen Boom erlebte das Ziel auch in der Nachkriegszeit. Woher die Verbindung zur Drachensage stammt, ist nicht geklärt.
Manager auf dem Rhein
Das hat die Wasserschutzpolizei auf dem Gewässer zu tun
Wie ist die Wasserschutzpolizei auf dem Rhein unterwegs?
Hochmotorisiert. Der Motor hat zweimal 500 PS. Damit kommen die Polizisten auf beachtliche Höchstgeschwindigkeiten. Wie schnell sie mit ihrem dunkelblauen Schnellboot maximal durch die Rheinfluten flügen können, dürfen sie nicht verraten.
Wie oft werden die Polizisten zu filmreifen Einsätzen gerufen?
Spektakuläre Unfälle wie jüngst die Explosion in Duisburg sind ohnehin selten, ebenso anderen Unfälle. Selbst Wasserleichen prägen von ihrer Zahl her die Einsatzstatistik viel weniger, als man erwarten würde. Ab und an mal jemand, der droht von der Brücke zu springen. Aber nur ganz selten fotogene Einsätze, wie sie in Krimis vorkommen. Vorbereitet, so meint Muth, sei man auf alles: Er trägt eine Waffe und antistatische Schuhe, um auf einem Gefahrguttransport Funkenbildung und damit Explosionsgefahr zu minimieren.
Die Rheinregatta zu Pfingsten, Silvester und Kölner Lichter sind hingegen die größten Einsätze für die Wasserschutzpolizei.
Gibt es viel Kriminalität auf dem Rhein?
Schmuggel? Betrug? Schießereien? Ausnahmen. „Die Schiffsführer sind inzwischen wie Manager, die müssen dreimal so viele Formulare wie früher ausfüllen, Dutzende Verordnungen kennen ...“, sagt Edgar Muth, da leisten sich die wenigsten einen Fehler. Nach schrulligen Individualisten und Rhein-Romantik hört sich das nicht an. Dafür haben die Wohnungen auf den Frachtern mittlerweile inzwischen oft eine Klimaanlage. Auf dem Wasser regiert also anders als an Land, eher die Vernunft: Nur ein oder zwei Trunkenheitsfahrten pro Jahr, so Muth, müsse er registrieren, Drogen noch seltener.
Warum gibt es kaum noch Umweltsünder auf dem Rhein?
„Gewässerverunreinigungen haben auch stark nachgelassen“, sagt Edgar Muth. Was auch mit den Bilgenentölern zu tun hat. Den was? Schwarz-gelben Boote, langsam gesprochen Bil-gen-ent-ö-ler – Spezialschiffe, die die „Schiffsbetriebsabfälle“ abholen und entsorgen. Die Schadstoffbeseitigung bezahlen Binnenschiffer schon beim Kauf des Treibstoffs, Altöl zu verklappen sparte sie also keinen Pfennig...
Wie ist die Stimmung auf dem Fluss?
Edgar Muth liebt seinen Job, „weil auf dem Wasser Respekt herrscht. Da können wir gerade eine Knolle oder einen Strafbefehl von mehreren Hundert oder Tausend Euro überbracht haben – aber hinterher gibt es immer noch einen Kaffee“ zusammen. „Auf dem Wasser sind wir wie eine große Familie. Man kennt sich, man schätzt einander. Man wird zusammen alt.“ Anders als an Land, wo um sich schlagende Betrunkene, uneinsichtige Unfallverursacher und rüpelnde Fußballfans die Regel sind, scheint das Leben an Bord geradezu solide.
An welche Regeln muss man sich auf dem Rhein halten?
Gilt eigentlich Linksverkehr auf dem Rhein? Darf man Überholen? Gibt es ein Tempolimit? Erstens: mal so mal so, zweitens ja, drittens nein. Auf dem Rhein gilt die Grundregel: Wer bergauf unterwegs ist, bestimmt, auf welcher Seite er fährt. Bergauf bedeutet: Gegen den Strom. Da kommt es auf günstige Strömungen an, und deswegen wechseln die Schiffe mit Zielen im Süden in der Regel an der Mülheimer Brücke auf die Schäl Sick und bleiben dort bis Rodenkirchen.
Warum kontrolliert die Wasserschutzpolizei Schiffe viel öfter, wenn sie bergwärts fahren?
Talwärts geht es entschieden schneller zu – weswegen in dieser Richtung auch weitaus seltener Kontrollen begonnen werden. „Da sind wir ja in Düsseldorf, bis wir mit dem nötigsten durch sind...”, sagt Polizist Edgar Muth.
Tanz auf dem Wasser
So schätzen Kanuten, Ruderer und Segler den Rhein als Sportarena der besonderen Art
Jedes Jahr im Frühling, wenn die Tage länger werden, verwandelt sich der Rhein von einer Handelsstraße in eine Sportarena.
Eine kleine Gruppe hat sich mit ihren Kajaks zum „After-Work-Paddeln” im Yachthafen Zündorf versammelt. Jeden Mittwoch um sechs treffen sich die Mitglieder des „Kanu-Club Zugvogel” hier, um auf dem Wasser gemeinsam den Tag ausklingen zu lassen.
„Hochwasser”, stellt Keiran Malloy fest, als er mit seinem Kajak das Wasser erreicht. Der 13-Jährige ist mit Abstand der Jüngste der Runde. „Am Anfang war ich etwas überfordert”, beschreibt er seine ersten Kajakerlebnisse. „Aber wenn man die Abläufe kennt, macht es richtig Spaß.”
Sein Vater ist ebenfalls mit von der Partie, mittwochs kommen sie alle zusammen, Jung und Alt, Erfahrene und Unerfahrene. Die Anfänger lernen hier im Kehrwasser die ersten Paddelschläge. Danach geht es mit der Gruppe hinauf auf den Rhein.
Der Name „Zugvogel” kommt nicht von ungefähr: Mal fahren sie für mehrere Tage den Rhein hinunter, mal zieht es die Kanuten auf fremde Flüsse, in fremde Länder - sogar bis nach Australien. „Kanufahren hat viel mit dem Traum von Freiheit zu tun”, erzählt Andrea Sprenger, Vorsitzende des Vereins. „Es geht aber vor allem um das Naturerlebnis, darum, möglichst autark und selbstbestimmt unterwegs zu sein. Wir suchen keine quadratisch-praktischen Ferienziele.”
Eine gute Gemeinschaft
Sprenger stammt aus einer Kanuten-Familie, ihr Vater setzte sie schon mit fünf Jahren ins Boot. Heute sind auch ihr Mann und ihre Kinder Mitglied. „Für mich ist der Sport Lebensgefühl”, sagt sie. „Wir verbringen viel positive Zeit miteinander. Das hier ist eine Gemeinschaftsaktivität. Man hilft einander.” Die Hilfsbereitschaft beschränkt sich nicht nur auf Vereinsmitglieder. Zwischen Weihnachts- und Osterferien bieten ehrenamtliche Helfer Schwimmkurse für Flüchtlingskinder an.
„Die Strömung des Rheins ist sehr schnell”, erzählt Burkhard Zander, selbst Besitzer einer Jolle. „Stromaufwärts fühlt sich das an, als würde man auf einer Rolltreppe in die falsche Richtung gehen.” Eine Tatsache, die Zander freilich nicht vom Wasser fernhält. Lag sein erstes Boot noch an der Maas, zog es ihn schnell ans Kölner Ufer. Die erfahrenen Rheinsegler wiesen ihn ein - mittlerweile birgt das tückische Gewässer durchaus seinen Reiz: „Man klinkt sich in die Naturgewalten ein. Das kann eine ganze Lebenssicht umkrempeln.” Beim Segeln entstehe eine unbeschreibliche Dynamik zwischen Ruhe und absoluter Furore, findet Zander und wählt als Cembalobauer einen Vergleich aus seiner Berufswelt: „Das erzeugt eine ungeheure Musikalität.”
Die Entscheidung, sich des alten Bootes anzunehmen, hat er nie bereut. Im Gegenteil: „Libra” ist noch voll funktionsfähig - nur manchmal, da muss Zander bei Fahrten etwas Wasser herausschöpfen. Er arbeitet viel an seinem Boot. Für ihn ist das Erlebnis auf dem Wasser die Mühe wert: „So wie man den Fuß aufs Boot setzt, betritt man eine andere Sphäre.”
Gut für die Gesundheit
Das weiß auch Burghard Schack: Früher, da sei er viel gesegelt, erzählt der 72-Jährige. Als er vor zehn Jahren einen rückenschonenden Sport sucht, entdeckt er das Rudern für sich. Mit Erfolg: „Wenn ich früher 15 Minuten im Garten gearbeitet habe, kam ich nicht mehr in die Senkrechte”, sagt er. „Heute arbeite ich dort einen ganzen Tag, strecke mich kurz und das war’s.” Seine sportliche Heimat hat der Rentner im “Kölner Ruderverein von 1877” in Rodenkirchen gefunden. Hier zieht es ihn fast jeden zweiten Tag aufs Wasser, im Jahr rudert er etwa 3500 Kilometer. „Dabei habe ich nie im Leben Sport getrieben.”
Für Schack passt beim Rudern alles zusammen: Man müsse das Wasser lieben, die Wellen; man müsse es lieben, Mannschaftssport zu betreiben. Auf ihn treffe das alles zu. Hier kann er abschalten: „Nach einigen Ruderschlägen fällt der ganze Tagesballast ab.”